Jana Hohn

"Die Vielfalt der Distanz. Zur Begriffs- und Theoriegeschichte eines Konzepts."

(Prof. Dr. Ingo Stöckmann)

Kurzbiographie

  • 2011–2015: Studium der Germanistik und Romanistik (Spanisch), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (Bachelor of Arts)
  • 2015–2019: Studium der Germanistik mit dem Schwerpunkt der Neueren deutschen Literaturwissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (Master of Arts)
  • 2015/2016: Auslandsaufenthalt, Arbeit am Goethe Zentrum, „Instituto Cultural Paraguayo Alemán“ (Abteilung für Deutsch als Fremdsprache) in Asunción, Paraguay
  • 2016–2018: Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl von Prof. Dr. Ingo Stöckmann, Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
  • Seit Oktober 2019: Stipendiatin des Deutsch Italienischen Promotionskollegs, Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
     
  • Ästhetik und Poetik der Moderne
  • Literatur-, kultur- und medienwissenschaftliche Theoriebildung
  • Theorie der (literarischen) Form
  • Literarische/historische Anthropologie

Der Begriff ‚Distanz‘ von lat. Transkription ‚distantia‘, von. ‚distare‘, ‚abstehen‘, ‚entfernt sein‘ bezeichnet seit dem frühen 16. Jh. eine elementare geometrische Messgröße, nämlich „die kürzeste Linie, [die] so zwischen zweyen Dingen enthalten ist“ (‚Distantia, Distanz, Distance‘, in: Grosses vollständiges Universallexicon aller Wissenschaften und Künste, hrsg. v. Johann Heinrich Zelder, Bd. 7, Halle 1737. Sp. 1072–1073. Hier Sp. 1072). Insofern ist ‚Distanz‘ nicht bloß das Antonym von ‚Nähe‘, sondern ein relationaler Begriff, der nämlich ihre Qualität bestimmt – Nähe ist nichts anderes als geringe Distanz. Die evaluative Neutralität der räumlich-geometrischen Bedeutung von ‚Distanz‘ birgt zudem das Potential, den Begriff in übertragender Weise für unterschiedliche Konstellationen zu verwenden. So wird der Distanzbegriff seit dem 19 Jahrhundert auch als ‚Messgröße‘ fundamentaler Verhältnismäßigkeiten besonders attraktiv für wissenschaftliche Verwendungsweisen. Inzwischen ist er zur Metapher avanciert, deren Tertium, das Abstandsverhältnis – im ursprünglichen Gebrauch noch statisch – zunehmend dynamisiert wird, indem bspw. auch asymmetrische Verhältnisse zum Ausdruck gebracht werden, oder indem es als prozessual, im Sinne eines Distanzierungsvorganges, verstanden wird. Diese gesteigerte Komplexität des Begriffs schlägt sich in einer vielfältigen Verankerung in unterschiedlichen Disziplinen wie Geometrie oder Geografie, Biologie, Psychologie, Soziologie, aber auch Ökonomie, bis hin zu Anthropologie und Ästhetik nieder. Sie alle beschreiben, unter Zuhilfenahme der Metapher, innerdisziplinäre Abspaltungsphänomene. Das bedeutet jedoch nicht, dass die unterschiedlichen Bedeutungen, die dem Begriff der Distanz von den unterschiedlichen Disziplinen zugewiesen werden, bloß innerhalb dieser verharren. Vielmehr kommt es zu Konzeptwanderschaften; die Metapher zirkuliert zwischen den Fächern und bildet so ein Geflecht von Bezügen. Dennoch bleibt festzustellen, dass der Begriff, trotz des inflationären Gebrauchs, in keiner wissenschaftlichen Disziplin einen theoretischen fixierten Status erreicht.
Aus eben dieser Beobachtung ergibt sich das doppelte Forschungsanliegen des Dissertationsvorhabens: Zum einen gibt es bislang noch keine Begriffsgeschichtliche Darstellung zum Distanzbegriffs – diesem Desiderat soll nachgekommen werden. Dass sie bislang noch nicht vorliegt, begründet sich, so die Vermutung, durch den prekären Status, der ‚Distanz‘ als interdisziplinärem Begriff innehat. Die Annahme führt zudem zum zweiten Teil des Forschungsanliegens: Die epistemische Qualität von ‚Distanz‘ aufzuhellen. Denn das Vorhaben begegnet dem Begriff mit der These, dass er nicht trotz, sondern gerade wegen seines Uneindeutigkeit und seiner fehlenden theoretischen Kontur für den methodologischen Aufbau ‚von Theorie‘ zentral ist. Distanz wird darum als quasi-transzendentaler Begriff verstanden, der das ‚Wie‘ der wissenschaftlichen Verfahrensweise mit einem theoretischen Gegenstand bestimmt. Ohne selbst theoretisch bestimmt zu sein, ist ‚Distanz‘ theorieermöglichend, und zwar gerade weil der Begriff nicht in der Terminologie der offiziellen Theoriesprache vorkommt. Aus diesem Grund sollen verdeckte historische Konnotationen und Problembezüge des Begriffs aufgezeigt und produktiv gemacht werden für die Frage danach, wie das Konzept von ‚Distanz‘ die Genese von Theorie durch historische Bedeutungsverschiebungen zwischen Disziplinen, Fachsprachen und kulturellen Semantiken beeinflusst.

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