bickelworte, hozelbozel, vindelsê
Die deutschsprachige Literatur des Mittelalters, wie sie sich vor allem ab dem 12. Jahrhundert jenseits lateinischer und romanischer Dichtung erfolgreich etabliert, zeichnet sich nicht nur durch ein breites Spektrum an Texten, Themen und Motiven aus. Im Ringen um das richtige literarische Wort werden hier auch regelmäßig sprachliche Einmalbildungen, sog. hapax legomena, greifbar, die im Sinne situativer Wortneuschöpfungen zu den besonderen Faszinosa mittelalterlicher Wort- und Dichtkunst gehören.
Das Projekt ‚Hapaxon‘ widmet sich erstmals umfassender diesen im doppelten Sinne ‚einmaligen‘ Wörtern, die die Forschung bis heute vor fundamentale Herausforderungen stellen. Dabei zielt ‚Hapaxon‘ im Verbund von mediävistischer Sprach- und Literaturwissenschaft sowohl auf eine systematische Erschließung dieses Wortschatzes als auch auf eine betont interdisziplinäre Analyse, Deutung und lexikonartige Aufbereitung dieser vormodernen sprachlichen Einmalbildungen. Damit werden nicht nur neue Verständniswege zur Kunst und Semantik der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters geboten. Zugleich möchte das Projekt im fokussierten Blick auf die wortwörtliche Kreativität und Innovationskraft dieser besonderen Bildungen auch eine kulturhistorische Brücke zur modernen Sprache, Kunst und Kultur von Worterfindungen schlagen, wie sie heute für jede*n Sprachbenutzer*in literarisch, aber auch im gesellschaftlichen Alltag greifbar ist.
Das Projekt ‚Hapaxon‘ befasst sich mit einer besonderen Gruppe von Wörtern, die in einem bestimmten Textkorpus oder einer bestimmten Zeit nur ein einziges Mal verwendet werden: sprachliche Einmalbildungen, sog. hapax legomena. Derartige Einmalbildungen lassen sich nicht nur regelmäßig in der sich neu etablierenden deutschsprachigen Literatur des Mittelalters greifen. Sie gehören als situative Wortneuschöpfungen auch zu den besonderen Faszinosa mittelalterlicher Wort- und Dichtkunst und stellen die Forschung bis heute vor fundamentale Herausforderungen, da ihr einmaliges Vorkommen keinerlei Vergleiche mit anderen Kontexten erlaubt.
‚Hapaxon‘ reagiert auf ein schwieriges historisches Phänomen und ein ausdrückliches wissenschaftliches Forschungsdesiderat, indem es sich erstmals überhaupt systematisch-umfassend und dabei zugleich auch in innovativer interdisziplinärer Weise sprachlichen Einmalbildungen in einem breiten Skopus auf die deutschsprachige Literatur des Mittelalters vom 12. bis ins 14. Jahrhundert widmet. Mit Hilfe der digitalen Ressourcen und Tools des Akademievorhabens ‚Mittelhochdeutsches Wörterbuch‘, das dem Projekt als das zentrale Epochenwörterbuch des mittelalterlichen (Hoch-)Deutschen (1050–1350) kooperativ zur Seite steht, zielt ‚Hapaxon‘ nicht nur auf eine valide Erhebung eines breiten Datenbestands und den Aufbau einer lexikalisch-semantischen online-Datenbank mit systematischen und dynamischen Suchoptionen. Es nimmt zugleich auch eine sprach- und literaturtheoretische Grundlegung, interdisziplinäre Auswertung sowie lexikonartige Aufbereitung und dynamische Operationalisierung dieses ‚einmaligen‘ Datenmaterials vor, indem es sprach- und literaturwissenschaftliche Ansätze und Methoden im Bereich der Historischen Semantik kombiniert, übergreifende komparatistische und kulturwissenschaftliche Perspektiven mit einschließt und nicht zuletzt auch Erkenntnismöglichkeiten im Schnittfeld von Philologie und Digital Humanities einbezieht. Drei grundlegende Frageperspektiven stehen dabei im Fokus:
- Welche sprachlichen Einmalbildungen lassen sich in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters greifen? Was ist die empirische Grundlage?
- Welchen sprachlichen und literarischen Bedingungen und Verfahren unterliegen bzw. folgen die verschiedenen Einmalbildungen und die damit einhergehende Sprache und Kunst der Worterfindung in den literarischen Texten?
- Welche Semantik und Funktion kommt der situativen Wortneuschöpfung im dichterischen Werk zu und welche Bedeutung hat diese darüber hinaus, etwa im sprachlichen und kulturellen Vergleich mit lateinischen und romanischen Vorlagen, aber auch im Blick auf die historische Entwicklung bzw. Transformation des Wortes im Rahmen der weiteren Rezeption?
‚Hapaxon‘ besitzt den Status eines Grundlagenprojekts, das mit zentralen Fragen wie diesen gleich in dreifacher Hinsicht innovative Ergebnisse und Erkenntnisgewinne erwarten lässt: Erstens wird ein valider Datenbestand mittelhochdeutscher sprachlicher Einmalbildungen erhoben und online zugänglich gemacht, zweitens eröffnet die interdisziplinäre Auswertung, lexikonartige Aufbereitung und dynamische Operationalisierung des Datenmaterials neue sprach- und literaturwissenschaftliche Verständniswege zur Kunst und Semantik der deutschsprachigen Dichtung des Mittelalters, und drittens kann das Projekt damit insgesamt auch neue umfassendere Einblicke in die sprachliche und literarische Kreativität und Innovationskraft der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters geben, die nicht zuletzt auch Brücken zur modernen Sprache, Kunst und Kultur von Worterfindungen schlagen, deren kulturhistorische Tiefe es noch präziser auszuloten gilt.
Im Zentrum des Projekts steht der Aufbau einer digitalen Datenbank, in deren Rahmen die sprachlichen Einmalbildungen aus der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters vom 11. bis ins 14. Jahrhundert nicht nur gesammelt, sondern auch im Sinne eines Lexikons systematisch wissenschaftlich aufbereitet, online zugänglich gemacht und mit verschiedenen Suchoptionen ausgestattet werden.
Ein wesentlicher Grundbaustein dieses digitalen Projektkernstücks sind dabei sog. ‚Wortvisitenkarten‘, die – vergleichbar einem Lexikonartikel – die wichtigsten sprach- und literaturwissenschaftlichen Angaben der jeweiligen sprachlichen Einmalbildung beinhalten: zu Werk und Autor, literarischem Kontext, sprachlichen Verfahren der Wortbildung, Übersetzungsmöglichkeiten und literarischen Bedeutung(en) innerhalb des Werkes. Diese ‚Wortvisitenkarten‘ sollen nicht nur aufgerufen und wie in einer Art Lexikon Auskunft über die Bedingungen, Bedeutungen und Funktionen der verschiedenen sprachlichen Einmalbildung geben. Ziel ist es auch, die Inhalte der ‚Wortvisitenkarten‘ sowohl extern, etwa mit mittelhochdeutschen Wörterbüchern wie MWB, BMZ und Lexer, zu verlinken als auch intern, d.h. untereinander zu verknüpfen, um damit weitere systematische und dynamische Suchabfragen zu ermöglichen (Autor, Werk, Zeitraum, Wortbildungsmuster etc.) und so noch einmal weitergehende Ergebnisse und Erkenntnisgewinne für Nutzer*innen zu generieren.
Die Datenbank befindet sich derzeit im Aufbau.
Projektleitung
Prof. Dr. Claudia Lauer
Professorin für Ältere Germanistik unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Literatur des Mittelalters
1.008
Rabinstr. 8
53111 Bonn
Dr. Birgit Herbers
Mittelhochdeutsches Wörterbuch, Arbeitsstelle der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur