Forschungsprojekte

Abgeschlossene Forschungsprojekte

Hier finden Sie Forschungsprojekte der Abteilung für Komparatistik Bonn, die in den letzten Jahren abgeschlossen wurden.

Projekte

Sabine Mainberger
entstandene Monographie: ‚Charis‘ oder Riskante Reziprozität. Versuche über Gaben und Künste. Berlin/Boston: de Gruyter, 2024. Volltext-Download1

Gaben, wie sie in Marcel Mauss’ Essai sur le don (1923/24) verstanden werden, bringen Gruppen und Individuen in ein Verhältnis gegenseitiger Verpflichtungen, die erfüllt werden müssen und doch als freiwillige gelten. Anders als ökonomische und vertragliche sind die durch Geben, Annehmen und Erwidern geschaffenen Beziehungen nicht wirklich berechenbar, sie wirken dauerhaft, involvieren die Akteure als ganze, sind agonistisch. Reziprozität heißt dabei weder Äquivalenz von Gabe und Gegengabe noch Symmetrie der Macht zwischen den Akteuren. Entscheidend ist, dass die Beteiligten Partnerschaften und Allianzen schließen. Gaben wirken als außerordentlich mächtige Bindekraft. Normalerweise dienen sie der Befriedung, aber genauso können sie eine Fortsetzung von Feindschaft mit anderen Mitteln sein. Gaben haben mit Konvivialität zu tun: im Sinn von Festen und deren Atmosphäre der Generosität und Verschwendung und im allgemeineren Sinn von Zusammenleben. In beiden Bedeutungen haben die Künste eine zentrale Rolle. Sie gehören zu Festen, und wie diese selbst sind ihre Werke und Aufführungen Gaben, sie eignen sich aber auch in besonderem Maße dafür, die komplexen Interaktionen mit und Interdependenzen durch Gaben auszudrücken und zu reflektieren.

Für meinen Versuch, Künste (inkl. Literatur) und deren Theorien mit Gabenpraktiken und -konzepten zusammenzubringen, sind vor allem diejenigen Lesarten von Mauss’ Essai von Interesse, die die symbolischen Funktionen der Gabe und ihre Leistung für die gegenseitige Anerkennung der Beteiligten akzentuieren. Ich gehe den Überschneidungen des für die europäische Kulturgeschichte wichtigen semantischen Feldes von charis, gratia, grazia, grâce etc. mit demjenigen der Gabe nach und analysiere in historisch unterschiedlichen Szenarien, wie sich in concreto Künste und soziale Gabenbeziehungen, die auch ökonomische, politische, ethische, rechtliche und religiöse Dimensionen haben, vermitteln.

Themen umfangreicherer Abschnitte sind bisher Problematisierungen von charis in verschiedenen griechischen Tragödien; Gabentheorie der Kunst in Plinius’ d. Ä. Naturkunde (Veröffentlichung eines Ausschnitts s. Publikationsliste); Baldassar Castigliones Sozialästhetik; agonistische Konvivialität von Benvenuto Cellini und dem französischen König François Iᵉʳ (s. Publikationsliste); Winckelmanns gratia als soziale Anerkennung nach griechischem Modell (s. Publikationsliste); Schillers Ästhetik, gabentheoretisch gelesen.

Geplant sind weitere Abschnitte zu: Konvivialität und Krieg im modernen Gesellschaftsroman; Künstlertum und Sozialität in Avantgarden des 20. Jahrhunderts; Inversion des Gabenparadigmas in zeitgenössischer experimenteller Kunst und Literatur.

Sabine Mainberger
Projekt im Rahmen von TRA4 2

entstandene Aufsätze:
  • Kunst, Macht, Agonismus. Auf der Suche nach einer Gabentheorie der Kunst bei Plinius dem Älteren, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (DVjs),  98.1 (2024). Volltext-Download3
  • Grazia, Gabe und Salz. Tischszenen mit François Ier und Benvenuto Cellini, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (DVjs), 96.1 (2022), 1-34. Volltext-Download4
  • ‚Grazie‘, charis, Gabe. Winckelmann gelesen mit Marcel Mauss, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 95.3 (2021), 255-312. Volltext-Download5

Für Versuche, Sozialität ohne utilitaristische Reduktion zu denken, ist das auf den französischen Soziologen und Ethnologen Marcel Mauss zurückgehende Theorem der Gabe noch immer produktiv. Denn in der Gabe kommen alle Dimensionen gesellschaftlichen Lebens zusammen: ökonomische, politische, religiöse, moralische, ästhetische; sie steht damit quer zu den ausdifferenzierten Systemen, als die wir Gesellschaft heute sehen. Mit Rekurs auf die Gabe könnten von diesen Einteilungen verschüttete Querverbindungen zwischen den einzelnen Bereichen sichtbar gemacht werden. Desgleichen sind historische Perspektivierungen möglich, aber auch Analysen gegenwärtiger Phänomene. Im Sinn des semantischen Feldes von 'charis' bilden Gabe, Gnade und Grazie eine bewegliche, historisch veränderliche Konstellation.

Celestina Trost
Promotionsprojekt

Der Einakter hat sich um 1900 durch seine programmatische Aufwertung als „neue Formel des Dramas“ (Strindberg) und „lebendiges Theater“ (Jullien) in Europa bemerkbar gemacht. Einakter erscheinen in erstaunlicher Fülle dort, wo man sich neuen Bühnenkonzepten und veränderten Dramaturgien gewidmet hat. Fügen sie sich damit einerseits in ein modernistisches Selbstverständnis ein, sind Einakter andererseits keineswegs eine Neuheit und untergraben zugleich die mit der Form artikulierten ‚Diskontinuitätsbehauptungen‘. Ausgehend von den Aporien, die den Einakter als Gattung nicht greifbar machen und in der negativen Beziehung zur Aktorganisation des Dramas nicht sinnvoll füllen lassen, macht sich das Projekt zur Aufgabe, systematisch das Textkorpus einaktiger, d.h. szenisch organisierter Dramen in den Literaturen Europas um 1900 zu erschließen. In den Texten lässt sich auf diese Weise eine Figurationsleistungen von Zeit rekonstruieren, die den referentiellen Status der Form ausspielt: Einakter verfügen über ein Wissen latenter Kontinuitäten, ihrer Abwesenheit und Vergangenheit, die Gegenwart setzt, korrumpiert, erneuert und damit als Gegenwart erst hervorbringt. Damit versucht das Projekt zu zeigen, wie der Einakter als formales Verfahren im Kontext der Zeitdiskurse der Phänomenologie, Psychologie, Philosophie und Physik produktiv geworden ist.


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